Pesendorfer hat das Dirndl nicht erfunden
Arora, Steffen: Trachten sind auch nur eine Mode. In: Der Standard Online am 22. Oktober 2016, 14:00 Die Ethnologen Timo Heimerdinger und Reinhard Bodner arbeiten am Forschungsprojekts "Tiroler Trachtenpraxis im 20. und 21. Jahrhundert". Als Mitarbeiter der Universität Innsbruck, arbeiten sie ... »... im Auftrag des Landes Tirol und in Kooperation mit dem Tiroler Volkskunstmuseum. Das Hauptaugenmerk der Forschungen liegt auf der "Mittelstelle Deutsche Tracht", die während der Zeit des Nationalsozialismus in Innsbruck angesiedelt war. ...« Die beiden widerlegen die Theorie von der Südtiroler Volkskundlerin Elsbeth Wallnöfer, die Pesendorfer die Kreation des Dirndls in seiner heutigen Form zuschrieb (2011: Geraubte Tradition. Wie die Nazis unsere Kultur verfälschten. Paulinus Verlag GmbH): »... das Hauptaugenmerk der Forschungen Bodners und Heimerdingers liegt auf der "Mittelstelle Deutsche Tracht", die während der Zeit des Nationalsozialismus in Innsbruck angesiedelt war. Deren langjährige Leiterin Gertrud Pesendorfer schuf dort nach dem "Anschluss" Österreichs mit ihren Mitarbeiterinnen im Auftrag des NS-Regimes "erneuerte Trachten" nach Tiroler Vorbild für diversen Regionen inner- und außerhalb der "Ostmark". Ihre Mittelstelle war für das gesamte "Reichsgebiet" zuständig, bis Kriegsende 1945 wurden allerdings kaum Entwürfe publiziert. Sie wird fälschlicherweise oft als Erfinderin des modernen Dirndls bezeichnet. Doch das wäre zu viel der Ehre für die begeisterte Nationalsozialistin, sagen die Forscher. ... Die meisten ihrer Schnitte und Ideen kupferte Pesendorfer von bestehenden Modellen ab. ...« Politische Aufgeladenheit nach wie vor aktiv Der Artikel von Stefen Arora entstand jedoch aus einem anderen Grund. Den Forschern wird der Zugang zum Archiv des Landestrachtenverbands verweigert: »... Obwohl sie aus Mitteln des Landes gefördert werden, verweigert ihnen die Spitze des Landestrachtenverbandes (LTV), dessen Präsident Landeshauptmann Günther Platter ist, jedes Gespräch und den Zugang zum Archiv. Heimerdinger wundert sich über dieses Gebaren: "Es ist bedauerlich, wenn auch für unsere Forschungen nicht dramatisch. Bemerkenswert ist jedoch, dass es für diese Haltung – zumindest bislang – offenbar politische Rückendeckung gibt, obwohl das Land Tirol uns ja finanziert." ...« Dahinter vermuten die Forscher die Angst, dass die Trachtenvereine ins rechte Eck gestellt werden könnten. »... Was nicht der Fall sei, sagt Heimerdinger: "Ursprünglichkeitsvorstellungen in Bezug auf Trachten müssen wir allerdings hinterfragen und das Bedürfnis danach analysieren. Zudem interessieren wir uns für die Bezüge zwischen Trachtenwesen und politischer Macht." In der NS-Zeit wurde das Thema für die eigenen Zwecke instrumentalisiert. "Trachten gab es natürlich schon vor dem Nationalsozialismus", stellt Heimerdinger fest. Doch die stramme Ordnungsidee der Nazis habe sich der strengen regionalen Zuordenbarkeiten im Trachtenwesen bedient. Denn die Tracht teilt die Menschen nach Geschlecht, Herkunft, Familienstand und sozialem Rang ein. Sie ist ein starkes Zeichen, nach außen wie nach innen.« Unter diesem Link finden Sie den gesamten Artikel: http://mobil.derstandard.at/2000046298145/Trachten-sind-auch-nur-eine-Mode
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Tracht ist längst nicht mehr eigensinnig und steht auch zeitgenössischen Gutverdienenern um die Dreißig
(Konrad Köstlin) (....) Die Konnotationen der Tracht entstehen und verändern sich in einem permanenten Nutzungsdiskurs, wobei manche Duftmarken aber haften bleiben. Es gibt Agenturen wie die angewandte Volkskunde und die Heimatpflege (die man beide freilich nicht überschätzen sollte) die derlei Ensembles herstellen. Es sind interessierte Akteure in Vereinen und Verbänden wie auch Individuuen, die durch ihre Praxis vorhandene Konnotationen reifizieren und modifizieren. Dabei sieht es so aus, als ob es heute mehr und mehr spielerische und sogar ironisch-zitierende Nutzungen, Bricolagen en masse gäbe, durch die der assoziative Zusammenhang von Tracht, »konservativ« oder gar »rechts« fast marginalisiert zu werden scheint, obwohl er freilich wichtig bleibt. In der Tat hat sich die Deutung der Tracht - und der Diskurs über die Tracht ist für die Nutzung wichtig - geändert. Tracht ist längst nicht mehr eigennsinnig und zeigt sich elastisch und so sehr neuen Kontexten anpassbar, dass sie auch zeitgenössischen Gutverdienern um die Dreißig steht. Denn unsere moderne Moderne, die eine späte sein mag, benötigt einen erhöhten, wenn auch nicht immer vielfältigen, so doch spezifisch anmutenden Zeichenbedarf. Insofern setzt Tracht - und hier kommen die Deutungsinstanzen ins Spiel - neue Zeichen. Die Deuter setzen Zeichen, die Zugehörigkeit und Regionalität suggerieren und sie - freizeitlich - gegen die Prozesse der Globalisierung aktivierbar machen. Auf diese Weise gibt die gegenwärtige Trachtendoktrin vor, der vielberedeten Beliebigkeit zu widersprechen. Mit der »demokratisch« zugänglichen Tracht dürfen Menschen das tun, was sie in dieser Welt oft nicht mehr können: Sie dürfen sich symbolisch festlegen. Sie tun das im Rahmen des Lifestyles auch mit anderen Dingen ... Ausgewählte Ensembles führen zur bekenntnishaften Entscheidung und zur Selbststandardisierung des Individuums. Tracht ist gedeutet, hat Bedeutung, ist Zeichen. (...) Köstlin, Konrad (2002): Tracht und Inszenierung von Authentizität: bewegliche Ästhetik im Alltag der Moderne. In: Schweizerische Zeitschrift für Volkskunde = Archives suisses des traditions populaires. Band 98 (2002) Heft 1 Trachtenerneuerung vs. Trachtenmode
Beitrag: Podiumsdiskussion Trachtenmarkt Greding, 2.9.2016 2015 habe ich für den Cadmos Verlag ein Buch über Trachtenmode geschrieben, das unter dem Titel ‚Stilbibel Tracht – die neuentdeckte alpenländische Tracht‘ veröffentlicht wurde. Nach Sichtung der Neuerscheinungen habe ich beschlossen, das Buch der Trachtenmode zu widmen, weil es zur Tracht als traditionelles Kleidungsstück schon ausreichend Literatur gegeben hat und ich aus der Perspektive der Mode weitaus mehr zum Thema beitragen konnte. Dabei habe ich die Geschichte von Anfang an erzählt und mit einer straffen Zusammenfassung der historischen Entwicklung mit all den politischen, sozialen und kulturellen Einflüssen eingeleitet. Weil, wer ein historisch verankertes Kleidungsstück trägt, auch über dessen Geschichte und Bedeutungen Bescheid wissen sollte. Im Lauf der Recherchen habe ich herausgefunden, dass die Geschichte der Tracht gut gelernt ist. In Zeitungen, Büchern und auf Websites tauchen die immer gleichen Phrasen auf, die das Mythos des Kleidungsstückes aus der heilen vorindustriellen Welt am Leben erhalten – aber nicht beleben. In Gesprächen mit Laien habe ich herausgefunden, dass die Tracht als das regional zuordenbare Kleidungsstück gesehen wird. Eine Kärntnerin wollte ein Foto von einem Kärntner Dirndl in dem Buch sehen, eine Wienerin wollte mehr über die Farben der regionalen Trachten wissen … Das hat mich zu dem Schluss gebracht, dass die Trachtenmode unter dem Diskurs über die Tracht leidet. Mit der Glorifizierung einer vergangenen Zeit wird eine romantische Sehnsucht angesprochen. Dass die Emotionalisierung immer noch funktioniert, bedeutet zum einen ein großes Kapital und zum anderen Blockade für eine konstruktive Weiterentwicklung der Trachtenmode. Weil Mode im Mythos nicht vorgesehen ist, bzw. nur dann geduldet wird, wenn sie nicht als solches erkennbar ist. Auch wenn Volkskundler immer wieder darauf hinweisen, dass es das Gegensatzpaar Tracht und Mode nie gegeben hat, weil Kleidung immer ein Abbild der sozialen Wirklichkeit ist. Basis für die konstruktive Weiterentwicklung von Tracht und Trachtenmode sollte die Einleitung eines zeitgenössischen Diskurses sein. Damit referiere ich auf Konrad Köstlin, der davon ausgeht, dass sich die Deutung der Tracht geändert hat und die Deutung für deren Nutzung wichtig ist. Der Diskurs sollte am besten interdisziplinär geführt werden. Relevante Beiträge gibt es z.B. aus der Kunst. Die Fotoklasse der Universität für Angewandte Kunst in Wien hat sich. ein Jahr lang mit der Frage ‚Was ist Heimat?‘ auseinandergesetzt und die Arbeiten in der Ausstellung ‚For other uses see Heimat‘ präsentiert. Aus Marktsicht wäre die Herbeiführung einer Trennschärfe zwischen den Begriffen Tracht und Trachtenmode sowie eine nachvollziehbare Definition der Kategorien wünschenswert. Z.B. könnte
In dieser Definition könnte das Heimatwerk seine Expertise in historischem Wissen und der Wahrung alter Handwerkstechniken in den Vordergrund stellen und die Modebetriebe könnten in einer Verbindung von modischer Kompetenz und historischem Wissen neue Experimente wagen. Wie dies z.B. die künstlerisch inspirierte Susanne Bisovsky in Wien macht. Kategorisierung und Definition sollten aktiv in der Kommunikation verwendet werden – und die Informationen sollten leichter zugänglich sein, sprich online verfügbar. Zur Zeit scheint sich die Kommunikation an einen Kreis Eingeweihter zu richten. In einer Zeit, in der selbst Jugendliche regional zuordenbare Kleidungsstücke cool finden, sollte das Heimatwerk diese seine Kompetenz klar zu erkennen geben und detaillierter auf die Eigenschaften der Tracht eingehen. Was mich z.B. fasziniert hat, war die Zeichenhaftigkeit, die in der öffentlichen Wahrnehmung bisweilen auf das Binden der Schürze reduziert ist. Dass die Farbe rot und der Kreuzstich vor Unglück und Bösem schützen sollte, ist schon weit weniger bekannt - könnte aber den Nerv einer Generation, die in eine Zeit großer weltpolitischer und wirtschaftlicher Probleme geboren ist, treffen. Abschließend plädiere ich für eine Rückbesinnung auf die eigenen Werte, einen zeitgenössischen Diskurs und eine offensivere Kommunikation. Coole Tracht
»... Etwa um das Jahr 2000 war nun zunächst in München, bald in ganz Bayern und ein Jahrzehnt später noch weit darüberhinaus ein besonderes Phänomen zu beobachten. Das vor allem im Ausland verbreitete Stereotyp des Bayern in Tracht gewann eine ganz neue Realität, als die Menschen in Stadt und Region nun tatsächlich begannen, sich auf diese Weise zu kleiden. Damit sind nicht die historischen Trachten gemeint, die meist von Vereinen präsentiert werden, sondern in erster Linie Dirndl und Lederhosen. Dieses Trachtenpaar ist heute nicht mehr wegzudenken, überall trifft man ganz selbstverständlich auf die Kombination. Auf Postkarten und in Werbeanzeigen wird das Bild immer wieder aufgegriffen. ... Mit Lebkuchenherzen, Dirndl und Lederhosen kann heute für alles geworben werden. Absolut niemand hätte noch in den 1990er Jahren vermutet, dass Trachten einmal mit der Bezeichnung ›cool‹ in Verbindung gebracht werden. ... Das Tragen von Dirndl und Lederhosen ist inzwischen ein Massenphänomen, es gibt keine Gruppe oder Gemeinschaft, auf die sich dieser Kleidungsstil beschränken lässt. ... Die Bedeutungen mit denen in den 2000er Jahren gespielt werden und die die Dirndl und Lederhosen von alltäglichen Kleidungsstücken unterscheiden, sind i.d.R. schon in der Vergangenheit angelegt. Quelle: Egger, Simone (2014): Heimat. Wie wir unseren Sehnsuchtsort immer wieder neu erfinden. 178-179 Über die Eigenschaften einer Region definieren
» ... neben all den persönlichen und weniger persönlichen Bezugspunkten, die sich auf die Identität des Menschen auswirken, sind regionale und lokale Versatzstücke längst Teil einer florierenden Verkaufsmaschinerie. Der Kulturwissenschafter Kaspar Maase betont jedoch ausdrücklich, dass Heimat in Verbindung mit Konsum nicht nur kulturpessimistisch bewertet und ausschließlich negativ kommentiert werden darf. Wenngleich manches für die Vermarktung wichtig ist, können diese Elemente aber ebenso für die Identität der BewohnerInnen eine Rolle spielen, die sich selbst über die Eigenschaften einer Region definieren. Das Bedürfnis nach Teilhabe, das Aushandeln von Identitäten ist stattdessen ein wesentlicher Bestandteil der Moderne und gerade in Zeiten der Globalisierung weiterhin ein Thema, das alle Menschen betrifft. Maase schlägt vor, die Aufmerksamkeit auf den alltäglichen Umgang mit ›Heimat und regionaler Identität« zu richten und zu schauen, was darunter verstanden wird. Quelle: Egger, Simone (2014): Heimat. Wie wir unseren Sehnsuchtsort immer wieder neu erfinden. Riemann Verlag. 84-85 Maase, Kaspar (1998): Nahwelten zwischen Heimat und Kulisse. Anmerkungen zur volkskundlich- kulturwissenschaftlichen Regionalitätsforschung. In: Zeitschrift für Volkskunde, 1/19998, 53-70 Falsch verstandene Heimatliebe
» ... Die Bedeutung regionaler und lokaler Besonderheiten wächst mit der Globalisierung der Welt. Je näher die Menschen zusammenkommen, desto wichtiger werden Differenzen. Eigenheiten zeichnen eine Stadt oder Region auch aus, erhöhen den Wiedererkennungswert. Über Auseinandersetzungen um Volkskultur oder Folklore wird in der Gegenwart vor allem ausgehandelt, wie sich die Beteiligten die Gesellschaft eines Ortes oder einer Region vorstellen - »Tracht tragen heißt Heimat tragen«, schreiben beispielsweise die Linzer Goldhaubenträgerinnen über sich selbst. In Österreich löste vor einigen Jahren eine schwarze Goldhaubenträgerin eine heftige Debatte aus. Die damals 22-jährige Hausruckviertlerin Sharon Callender war auf einem Werbeprospekt für die bekannte Linzer Kreation abgebildet. Diese besonders kunstvoll gestalteten Hauben sind die historische Kopfbedeckung der Frauen in Oberösterreich. Die junge Dame auf dem Titel fand sich selbst sehr schön, diese Einschätzung wurde ihr aber von Leuten abgesprochen, die Sharon Callender nicht als typisch für ihre Heimat sehen. Alles Quatsch könnte man sagen, wer streitet denn heute noch um Trachten? Gerade an solchen Beispielen werden Einstellungen aber besonders sichtbar. Anstatt sich zu freuen, dass eine junge Österreicherin nicht vor historischem Kunsthandwerk zurückschreckt, sondern die Tradition des Goldhaubentragens pflegt, soll sie - aus welchen Gründen auch immer: falsch verstandene Heimatliebe, Bewahren von was eigentlich? - ausgeschlossen werden. Federführend äußerten sich Leute, die für sich das Recht beanspruchen zu wissen, wer eine Goldhaube tragen darf und wer nicht. Dieser Umstand allein wird derart anmaßend, dass es keines weiteren Kommentars bedarf. ...« Quelle: Egger, Simone (2014): Heimat. Wie wir unseren Sehnsuchtsort immer wieder neu erfinden. Rieman Verlag, 221-222 Mode in Krisenzeiten
In den 1930er Jahren lässt sich eine noch stärkere Hinwendung zu traditionellen Werten beobachten, als vor dem ersten Weltkrieg. ... Die Frau sollte wieder durch und durch weiblich in einem höchst altmodischen Sinne sein ... In Zeiten der politischen Abgrenzung der europäischen Staaten voneinander wurde die Kleidung zu einem Mittel, nationale Identität zu stärken. Während modische Impulse Anfang der 30er Jahre auch über die Grenzen Frankreichs hinaus noch von Paris ausgingen, waren in Italien und Deutschland zunehmend Tendenzen zu erkennen, die einheimische Bekleidungsindustrie zu stärken und eine Rückbesinnung auf traditionelle Kleidungsformen zu fördern. So wurden in Deutschland Trachten gegenüber modischer Kleidung recht populär, denn sie waren funktional und ohne ›dekadentes‹ Schmuckwerk. Quelle: Lehnert, Gertrud (2000) Geschichte der Mode des 20 Jahrhunderts; Köln: Könemann Verlagsgesellschaft mbH. 32/33 https://www.youtube.com/watch?v=MSBlAhzJckc »Kaiserball« Heimatfilm (1956)
(Regie: Franz Antel, in den Hauptrollen: Rudolf Prack und Sonja Ziemann) »Wenn kaiserliche Hoheit einen Steireranzug anhat, ist er keine kaiserliche Hoheit mehr.« Der Hotelrezeptionist (gespielt von Hans Moser) im Film »Kaiserball« zu einem Hotelmitarbeiter. Hintergrund: Es war mehr oder weniger der Adel, der die alpenländische Tracht lebendig erhalten hat. Berührungspunkte zur Tracht ergaben sich durch die Jagd, die lange dem Adel vorbehalten war. So war es mehr oder weniger natürlich, dass die Mitglieder der Herrscherhäuser die Kleidung ihrer Jäger und Forstmitarbeiter übernahmen. Lodenjacke und Lederhose waren zweifellos gut geeignet. Dass mit der volkstümlichen Kleidung auch eine gewisse Volksnähe entstand, war durchaus erwünscht. |
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