Tracht ist längst nicht mehr eigensinnig und steht auch zeitgenössischen Gutverdienenern um die Dreißig
(Konrad Köstlin) (....) Die Konnotationen der Tracht entstehen und verändern sich in einem permanenten Nutzungsdiskurs, wobei manche Duftmarken aber haften bleiben. Es gibt Agenturen wie die angewandte Volkskunde und die Heimatpflege (die man beide freilich nicht überschätzen sollte) die derlei Ensembles herstellen. Es sind interessierte Akteure in Vereinen und Verbänden wie auch Individuuen, die durch ihre Praxis vorhandene Konnotationen reifizieren und modifizieren. Dabei sieht es so aus, als ob es heute mehr und mehr spielerische und sogar ironisch-zitierende Nutzungen, Bricolagen en masse gäbe, durch die der assoziative Zusammenhang von Tracht, »konservativ« oder gar »rechts« fast marginalisiert zu werden scheint, obwohl er freilich wichtig bleibt. In der Tat hat sich die Deutung der Tracht - und der Diskurs über die Tracht ist für die Nutzung wichtig - geändert. Tracht ist längst nicht mehr eigennsinnig und zeigt sich elastisch und so sehr neuen Kontexten anpassbar, dass sie auch zeitgenössischen Gutverdienern um die Dreißig steht. Denn unsere moderne Moderne, die eine späte sein mag, benötigt einen erhöhten, wenn auch nicht immer vielfältigen, so doch spezifisch anmutenden Zeichenbedarf. Insofern setzt Tracht - und hier kommen die Deutungsinstanzen ins Spiel - neue Zeichen. Die Deuter setzen Zeichen, die Zugehörigkeit und Regionalität suggerieren und sie - freizeitlich - gegen die Prozesse der Globalisierung aktivierbar machen. Auf diese Weise gibt die gegenwärtige Trachtendoktrin vor, der vielberedeten Beliebigkeit zu widersprechen. Mit der »demokratisch« zugänglichen Tracht dürfen Menschen das tun, was sie in dieser Welt oft nicht mehr können: Sie dürfen sich symbolisch festlegen. Sie tun das im Rahmen des Lifestyles auch mit anderen Dingen ... Ausgewählte Ensembles führen zur bekenntnishaften Entscheidung und zur Selbststandardisierung des Individuums. Tracht ist gedeutet, hat Bedeutung, ist Zeichen. (...) Köstlin, Konrad (2002): Tracht und Inszenierung von Authentizität: bewegliche Ästhetik im Alltag der Moderne. In: Schweizerische Zeitschrift für Volkskunde = Archives suisses des traditions populaires. Band 98 (2002) Heft 1
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Trachtenerneuerung vs. Trachtenmode
Beitrag: Podiumsdiskussion Trachtenmarkt Greding, 2.9.2016 2015 habe ich für den Cadmos Verlag ein Buch über Trachtenmode geschrieben, das unter dem Titel ‚Stilbibel Tracht – die neuentdeckte alpenländische Tracht‘ veröffentlicht wurde. Nach Sichtung der Neuerscheinungen habe ich beschlossen, das Buch der Trachtenmode zu widmen, weil es zur Tracht als traditionelles Kleidungsstück schon ausreichend Literatur gegeben hat und ich aus der Perspektive der Mode weitaus mehr zum Thema beitragen konnte. Dabei habe ich die Geschichte von Anfang an erzählt und mit einer straffen Zusammenfassung der historischen Entwicklung mit all den politischen, sozialen und kulturellen Einflüssen eingeleitet. Weil, wer ein historisch verankertes Kleidungsstück trägt, auch über dessen Geschichte und Bedeutungen Bescheid wissen sollte. Im Lauf der Recherchen habe ich herausgefunden, dass die Geschichte der Tracht gut gelernt ist. In Zeitungen, Büchern und auf Websites tauchen die immer gleichen Phrasen auf, die das Mythos des Kleidungsstückes aus der heilen vorindustriellen Welt am Leben erhalten – aber nicht beleben. In Gesprächen mit Laien habe ich herausgefunden, dass die Tracht als das regional zuordenbare Kleidungsstück gesehen wird. Eine Kärntnerin wollte ein Foto von einem Kärntner Dirndl in dem Buch sehen, eine Wienerin wollte mehr über die Farben der regionalen Trachten wissen … Das hat mich zu dem Schluss gebracht, dass die Trachtenmode unter dem Diskurs über die Tracht leidet. Mit der Glorifizierung einer vergangenen Zeit wird eine romantische Sehnsucht angesprochen. Dass die Emotionalisierung immer noch funktioniert, bedeutet zum einen ein großes Kapital und zum anderen Blockade für eine konstruktive Weiterentwicklung der Trachtenmode. Weil Mode im Mythos nicht vorgesehen ist, bzw. nur dann geduldet wird, wenn sie nicht als solches erkennbar ist. Auch wenn Volkskundler immer wieder darauf hinweisen, dass es das Gegensatzpaar Tracht und Mode nie gegeben hat, weil Kleidung immer ein Abbild der sozialen Wirklichkeit ist. Basis für die konstruktive Weiterentwicklung von Tracht und Trachtenmode sollte die Einleitung eines zeitgenössischen Diskurses sein. Damit referiere ich auf Konrad Köstlin, der davon ausgeht, dass sich die Deutung der Tracht geändert hat und die Deutung für deren Nutzung wichtig ist. Der Diskurs sollte am besten interdisziplinär geführt werden. Relevante Beiträge gibt es z.B. aus der Kunst. Die Fotoklasse der Universität für Angewandte Kunst in Wien hat sich. ein Jahr lang mit der Frage ‚Was ist Heimat?‘ auseinandergesetzt und die Arbeiten in der Ausstellung ‚For other uses see Heimat‘ präsentiert. Aus Marktsicht wäre die Herbeiführung einer Trennschärfe zwischen den Begriffen Tracht und Trachtenmode sowie eine nachvollziehbare Definition der Kategorien wünschenswert. Z.B. könnte
In dieser Definition könnte das Heimatwerk seine Expertise in historischem Wissen und der Wahrung alter Handwerkstechniken in den Vordergrund stellen und die Modebetriebe könnten in einer Verbindung von modischer Kompetenz und historischem Wissen neue Experimente wagen. Wie dies z.B. die künstlerisch inspirierte Susanne Bisovsky in Wien macht. Kategorisierung und Definition sollten aktiv in der Kommunikation verwendet werden – und die Informationen sollten leichter zugänglich sein, sprich online verfügbar. Zur Zeit scheint sich die Kommunikation an einen Kreis Eingeweihter zu richten. In einer Zeit, in der selbst Jugendliche regional zuordenbare Kleidungsstücke cool finden, sollte das Heimatwerk diese seine Kompetenz klar zu erkennen geben und detaillierter auf die Eigenschaften der Tracht eingehen. Was mich z.B. fasziniert hat, war die Zeichenhaftigkeit, die in der öffentlichen Wahrnehmung bisweilen auf das Binden der Schürze reduziert ist. Dass die Farbe rot und der Kreuzstich vor Unglück und Bösem schützen sollte, ist schon weit weniger bekannt - könnte aber den Nerv einer Generation, die in eine Zeit großer weltpolitischer und wirtschaftlicher Probleme geboren ist, treffen. Abschließend plädiere ich für eine Rückbesinnung auf die eigenen Werte, einen zeitgenössischen Diskurs und eine offensivere Kommunikation. |
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