Coole Tracht
»... Etwa um das Jahr 2000 war nun zunächst in München, bald in ganz Bayern und ein Jahrzehnt später noch weit darüberhinaus ein besonderes Phänomen zu beobachten. Das vor allem im Ausland verbreitete Stereotyp des Bayern in Tracht gewann eine ganz neue Realität, als die Menschen in Stadt und Region nun tatsächlich begannen, sich auf diese Weise zu kleiden. Damit sind nicht die historischen Trachten gemeint, die meist von Vereinen präsentiert werden, sondern in erster Linie Dirndl und Lederhosen. Dieses Trachtenpaar ist heute nicht mehr wegzudenken, überall trifft man ganz selbstverständlich auf die Kombination. Auf Postkarten und in Werbeanzeigen wird das Bild immer wieder aufgegriffen. ... Mit Lebkuchenherzen, Dirndl und Lederhosen kann heute für alles geworben werden. Absolut niemand hätte noch in den 1990er Jahren vermutet, dass Trachten einmal mit der Bezeichnung ›cool‹ in Verbindung gebracht werden. ... Das Tragen von Dirndl und Lederhosen ist inzwischen ein Massenphänomen, es gibt keine Gruppe oder Gemeinschaft, auf die sich dieser Kleidungsstil beschränken lässt. ... Die Bedeutungen mit denen in den 2000er Jahren gespielt werden und die die Dirndl und Lederhosen von alltäglichen Kleidungsstücken unterscheiden, sind i.d.R. schon in der Vergangenheit angelegt. Quelle: Egger, Simone (2014): Heimat. Wie wir unseren Sehnsuchtsort immer wieder neu erfinden. 178-179
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Über die Eigenschaften einer Region definieren
» ... neben all den persönlichen und weniger persönlichen Bezugspunkten, die sich auf die Identität des Menschen auswirken, sind regionale und lokale Versatzstücke längst Teil einer florierenden Verkaufsmaschinerie. Der Kulturwissenschafter Kaspar Maase betont jedoch ausdrücklich, dass Heimat in Verbindung mit Konsum nicht nur kulturpessimistisch bewertet und ausschließlich negativ kommentiert werden darf. Wenngleich manches für die Vermarktung wichtig ist, können diese Elemente aber ebenso für die Identität der BewohnerInnen eine Rolle spielen, die sich selbst über die Eigenschaften einer Region definieren. Das Bedürfnis nach Teilhabe, das Aushandeln von Identitäten ist stattdessen ein wesentlicher Bestandteil der Moderne und gerade in Zeiten der Globalisierung weiterhin ein Thema, das alle Menschen betrifft. Maase schlägt vor, die Aufmerksamkeit auf den alltäglichen Umgang mit ›Heimat und regionaler Identität« zu richten und zu schauen, was darunter verstanden wird. Quelle: Egger, Simone (2014): Heimat. Wie wir unseren Sehnsuchtsort immer wieder neu erfinden. Riemann Verlag. 84-85 Maase, Kaspar (1998): Nahwelten zwischen Heimat und Kulisse. Anmerkungen zur volkskundlich- kulturwissenschaftlichen Regionalitätsforschung. In: Zeitschrift für Volkskunde, 1/19998, 53-70 Falsch verstandene Heimatliebe
» ... Die Bedeutung regionaler und lokaler Besonderheiten wächst mit der Globalisierung der Welt. Je näher die Menschen zusammenkommen, desto wichtiger werden Differenzen. Eigenheiten zeichnen eine Stadt oder Region auch aus, erhöhen den Wiedererkennungswert. Über Auseinandersetzungen um Volkskultur oder Folklore wird in der Gegenwart vor allem ausgehandelt, wie sich die Beteiligten die Gesellschaft eines Ortes oder einer Region vorstellen - »Tracht tragen heißt Heimat tragen«, schreiben beispielsweise die Linzer Goldhaubenträgerinnen über sich selbst. In Österreich löste vor einigen Jahren eine schwarze Goldhaubenträgerin eine heftige Debatte aus. Die damals 22-jährige Hausruckviertlerin Sharon Callender war auf einem Werbeprospekt für die bekannte Linzer Kreation abgebildet. Diese besonders kunstvoll gestalteten Hauben sind die historische Kopfbedeckung der Frauen in Oberösterreich. Die junge Dame auf dem Titel fand sich selbst sehr schön, diese Einschätzung wurde ihr aber von Leuten abgesprochen, die Sharon Callender nicht als typisch für ihre Heimat sehen. Alles Quatsch könnte man sagen, wer streitet denn heute noch um Trachten? Gerade an solchen Beispielen werden Einstellungen aber besonders sichtbar. Anstatt sich zu freuen, dass eine junge Österreicherin nicht vor historischem Kunsthandwerk zurückschreckt, sondern die Tradition des Goldhaubentragens pflegt, soll sie - aus welchen Gründen auch immer: falsch verstandene Heimatliebe, Bewahren von was eigentlich? - ausgeschlossen werden. Federführend äußerten sich Leute, die für sich das Recht beanspruchen zu wissen, wer eine Goldhaube tragen darf und wer nicht. Dieser Umstand allein wird derart anmaßend, dass es keines weiteren Kommentars bedarf. ...« Quelle: Egger, Simone (2014): Heimat. Wie wir unseren Sehnsuchtsort immer wieder neu erfinden. Rieman Verlag, 221-222 Mode in Krisenzeiten
In den 1930er Jahren lässt sich eine noch stärkere Hinwendung zu traditionellen Werten beobachten, als vor dem ersten Weltkrieg. ... Die Frau sollte wieder durch und durch weiblich in einem höchst altmodischen Sinne sein ... In Zeiten der politischen Abgrenzung der europäischen Staaten voneinander wurde die Kleidung zu einem Mittel, nationale Identität zu stärken. Während modische Impulse Anfang der 30er Jahre auch über die Grenzen Frankreichs hinaus noch von Paris ausgingen, waren in Italien und Deutschland zunehmend Tendenzen zu erkennen, die einheimische Bekleidungsindustrie zu stärken und eine Rückbesinnung auf traditionelle Kleidungsformen zu fördern. So wurden in Deutschland Trachten gegenüber modischer Kleidung recht populär, denn sie waren funktional und ohne ›dekadentes‹ Schmuckwerk. Quelle: Lehnert, Gertrud (2000) Geschichte der Mode des 20 Jahrhunderts; Köln: Könemann Verlagsgesellschaft mbH. 32/33 https://www.youtube.com/watch?v=MSBlAhzJckc |
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